Britta

Manchmal trifft man auf Menschen, deren Geschichte einen sofort abholt und mitnimmt. Menschen, denen man sich unmittelbar emotional nahe und verbunden fühlt. Mit Britta ging es uns so, als sie im Jahr 2018 an unserem Projekt SILVER teilnahm.

Beseelt von den Erfahrungen und Erlebnissen meines Projektes A Stranger A Day, das mich 2017 begleitete, wuchs 2018 der Wunsch nach einem Projekt, welches Maike und ich gemeinsam realisieren wollten. 

Wir wollten Menschen finden, die etwas zu erzählen haben und uns an ihrer persönlichen Geschichte teilhaben lassen. Im Austausch dafür wollten wir den Teilnehmer*innen unsere Zeit und unser Ohr schenken. Aus unseren Eindrücken sollte eine Sammlung bewegender Geschichten entstehen. Die Idee für SILVER war geboren. 

Wir suchten in sozialen Netzwerken und waren verblüfft über die Resonanz. Wir malten uns aus, wie wir erst einmal fleißig ein halbes Jahr lang Menschen für das Projekt treffen, um dann während unserer geplanten, halbjährigen „Auszeit“, unsere Serie SILVER entstehen zu lassen.

Ersteres funktionierte hervorragend. Zweiteres leider nicht. Nach knapp sechs Wochen wurden wir unliebsam aus unserer „Auszeit“ katapultiert. Eine schlechte Nachricht aus der Heimat erreichte uns und führte dazu, dass wir wieder nach Deutschland zurückkehrten. Konfrontiert mit dieser „neuen Realität“, blieb mir erst einmal kein (emotionaler) Raum für freie Serien und SILVER verschwand von meinem Horizont. Leider für sehr, sehr lange.

Mit Britta hielten wir während all dieser Zeit Kontakt. Sie folgte unserer Einladung zu Konzerten und besuchte meine A Stranger A Day - Ausstellung in Mülheim. Britta ermöglichte uns eine kleine Alltagsflucht nach unserer unfreiwilligen Wiederkehr. Sie lud uns zu sich nach Ostwestfalen ein. Britta lehrte uns, dass es keinen regelmäßigen Kontakt braucht, um einander emotional verbunden zu sein. Wenn wir voneinander hören oder lesen, ist es immer bereichernd und wir fühlen uns ihr nahe. Alleine aufgrund dieser Begegnung hat sich SILVER für uns mehr als gelohnt. 

Mit Verfassen dieses Textes ist unser Treffen mit Britta mittlerweile mehr als zwei Jahre her. Und doch ist die Energie, die Begeisterung, das Brennen Brittas für mich noch präsent wie am Tag selbst.
Es ist die Erinnerung an ihre Begeisterung, die blieb. Daneben vermischen sich die Eindrücke aber natürlich auch mit all dem, was wir seitdem von Britta vernahmen. Wahrscheinlich ist es daher das intimste SILVER Portrait. Vielleicht ist es sogar der Serie entwachsen. Aber es gehört erzählt und ehe wir nicht wissen wo, findet es hier seine (temporäre) Heimat:

Bereits durch den vorherigen Mailwechsel freuen wir uns unheimlich, Britta kennenzulernen. Form und Inhalt ihrer Mails fesselten uns und wir brennen bereits vorab für ihre Geschichte. Und natürlich gesellt sich zur Neugierde auch unsere Identifikation mit Brittas Geschichte gepaart mit unserer Vorfreude auf unsere nahende „Auszeit“. Es passt einfach.

Wir sind mit Britta in der Voreifel an einem für sie sehr bedeutsamen Ort, dem Rursee, verabredet. Hier will sie uns an ihrer Geschichte bei einem Spaziergang um den See teilhaben lassen. Nachdem wir unser Treffen zuvor einmal verschoben haben, meint es dieser Termin gut mit uns dreien. Uns begrüßt der erste wirklich schöne Apriltag. In Köln grünt es, die Natur erwacht langsam wieder zum Leben. Je weiter wir in die Eifel gelangen, umso erstaunter stellen wir fest, dass hier die Natur noch ein, zwei Wochen länger braucht. Unserer guten Laune nimmt dies aber keinen Deut.

Trotz aller Vorfreude zu spät dran, treffen wir Britta am vereinbarten Ort in einem Café, versunken in ihren Aufzeichnungen. Nach der - aktuell so entfernt wirkenden - herzlichen Begrüßung, nimmt uns Britta unmittelbar mit in ihre Gedankenwelt, zum Grund ihres Versinkens: auf dieser Terrasse dieses Cafés, hatte sie auf den Tag und die Uhrzeit genau vor einem Jahr, relativ zu Beginn ihrer „Wanderung“, gesessen. So präsent ihr ihr Weg auch noch ist, wurde ihr dieser Zufall erst beim Stöbern in ihren Notizen beim Warten auf uns bewusst.

Emotionaler und direkter erscheint es uns kaum möglich, uns Brittas Geschichte zu nähern. Obwohl „nähern“ es nicht ganz trifft. Vielmehr tauchen wir unmittelbar ein. Wir werden von ihr direkt abgeholt und mitgenommen.

Britta gelang, wovon viele oft nur zu träumen wagen: sie ließ ihr „altes Leben“, das primär aus viel Sicherheit, einer festen Beziehung & einem angesehenen Beruf bestand, hinter sich und lief einfach los. Sie lief los, um loszulassen, in der Hoffnung auf Selbstfindung und innere Klarheit und um sich neu zu (er)finden. Als wir hier auf sie trafen, las sie gerade die Zeilen, die sie am selben Ort ein Jahr zuvor verfasste. Und so machen wir dann auch unmittelbar Bekanntschaft mit Brittas wichtigstem Reisebegleiter während dieser Zeit: Ihrem Notizbuch.

Wenig später verlassen wir das Café und laufen los. Unsere anfänglichen Bedenken, wir könnten bei Brittas Wandertempo nicht mithalten, entkräftet sie schnell. Es gehe ihr nicht darum, einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Ziel in einer gewissen Zeit zu erreichen.
Vielmehr sei es beim Wandern ihre Intention, den Alltag eine Weile hinter sich zu lassen, sich treiben zu lassen und sich selbst dabei im Idealfall ein wenig näher zu kommen. 

„Zu wandern, das bedeutet für mich sich auf den Weg zu machen - mit dem Körper, der Seele und mit dem Geist.“


Daneben liefert Britta aber auch noch ganz pragmatisch ein weniger emotionales Argument gegen unsere Bedenken: sie wandere zwar viel und lang aber eher langsam und wir hätten heute viel Zeit für eine verhältnismäßig kurze Runde.

Was Britta uns erzählt, trifft bei uns auf nahrhaften Boden. Während wir ihr begeistert lauschen, planen wir bereits unser eigenes Loslassen und erkennen uns in ihren Erzählungen. Zeitgleich erkennen wir aber auch unser Privileg, unseren Luxus und unser Glück, nicht genauso radikal unterwegs sein zu müssen. Wir sehnen uns mehr nach Abenteuer und Entschleunigung. Wir erhoffen uns eher eine Auszeit, anstelle eines kompletten Neuanfangs, begreifen es aber auch als Chance, auszuloten, wohin wir denn wollen. Und wir erfreuen uns, dieses Abenteuer gemeinsam in Angriff nehmen zu dürfen.

Britta begann ihre Wanderung vor den Türen Kölns in Hürth. Ihr Wunsch war es, nicht zu planen, sondern sich von den Begebenheiten und Menschen, die sie unterwegs treffen würde, inspirieren und treiben zu lassen. Der Weg war ihr Ziel. Von Hürth aus, führte er sie über die Eifel und Trier nach Metz und endete in Laon, einer mittelalterlichen Stadt im Norden von Frankreich. Dort wurde sie zu einem besonderen Ort, dem Paf, geführt. Das Paf ist eine alte Klosteranlage, die zu einer Wirkungsstätte für Künstler umfunktioniert wurde. Was sie hier fand, ließ sie spüren, dass ihr Weg zu Ende war und sie heimkehren konnte. Insgesamt war Britta gut 6 Wochen unterwegs. „Mir kam es aber eher vor wie 6 Monate, so intensiv war die Zeit“, erzählt sie uns.

Neben den Fakten und vielen schönen, inspirierenden und kurzweiligen Anekdoten, schenkt sie uns unzählige Weisheiten, die wir dankbar in uns aufsaugen.
„Mit wenig zu reisen kann so furchtbar glücklich machen“ berichtet uns Britta. Ihr wichtigstes Utensil sei „ein Buch mit leeren Seiten zum Füllen“ gepaart mit einer guten „Portion Offenheit, Mut und Neugier“ gewesen. Britta wanderte und schrieb, schrieb und wanderte und erfuhr dort Dinge über sich, die ihr Leben sanft aber nachhaltig veränderten.
Sie brauchte grenzenlose Freiheit, um Strukturen wieder wertschätzen zu können. Und Britta fand Zutrauen und Vertrauen in sich und das Leben. Unterwegs traf sie immer wieder auf Menschen, denen sie intensive Begegnungen und Inspiration verdankte. Das gibt sie bei unserem Treffen unmittelbar an uns weiter.
Britta schenkt uns die Erkenntnis, dass für vieles, was einem widerfährt, die eigene Haltung essentiell ist: Mit Vertrauen und Dankbarkeit lief sie los und erntete viel Hilfsbereitschaft, Vertrauen und Inspiration.

Das Wandern und Schreiben blieben feste Bestandteile in ihrem Leben. Mit etwas Abstand wuchs ihr Wunsch, das Erlebte auch literarisch zu verarbeiten. Gerade ist ihr Buch Aufbruch ohne Pfefferspray erschienen.   

Beim Schreiben dieser Zeilen steht Britta wieder vor uns am Rursee. Ich kann ihre Begeisterung förmlich spüren. Ich bin dankbar, dass sie ihre Geschichte mit uns geteilt hat und wir eine neue Freundin gefunden haben.