Gaby
Wir treffen Claudia in einem orientalischen Restaurant mitten in Köln.
Warum Claudia uns ihre Geschichte erzählt? Sie sagt, für sie selbst sei das „ein Stückchen weit Verarbeitung“.
Claudia ist Anfang 50, sie trägt ihre dunklen Haare halblang, kleidet sich dezent schick und mag sich selbst eigentlich nicht auf Fotos. Unserem Aufruf ist sie auch deshalb gefolgt, weil sie das Projekt als Herausforderung für sich selbst empfindet. Sie hat ihren Lebenspartner zu unserem Treffen mitgebracht. Die Stimmung ist sofort sehr offen und herzlich.
Claudia erzählt einen Teil der Lebensgeschichte ihrer Tochter, und vor allem erzählt sie dabei von ihrem eigenen Anteil an dieser Geschichte:
Wie sie damit umgeht, dass ihre Tochter zum Islam konvertiert ist. Dass ihre Tochter Kopftuch trägt und manchmal auch Niqab, den Gesichtsschleier. Dass sie ein Frauenbild lebt, das vielen Regeln unterworfen ist. Das von außen unfrei und reglementiert aussieht und viele Verbote beinhaltet, von dem Claudia aber glaubt, dass es ihrer Tochter Sicherheit und Halt gibt.
Als Claudias Tochter Miriam* zum Islam konvertierte, war sie 17 Jahre alt. Ein Jahr zuvor hatte sie damit begonnen, den Koran zu lesen, zu beten und regelmäßig in die Moschee zu gehen. Als ihre Freundinnen sich die Haare wöchentlich in einem anderen Ton färbten und das neueste Make-up ausprobierten, begann Miriam, sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen und Kopftuch zu tragen.
Für Claudia fiel ein großer Teil der Dinge weg, die eine Mutter typischerweise mit ihrer Teenagertochter macht: shoppen gehen, sich über Frisuren beraten, Schminktipps geben. Daran hatte Miriam in ihrem neuen Leben kein Interesse. Für Claudia war das nicht einfach, erzählt sie uns. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, musste erstmal tief durchatmen. Miriam hat sich bewusst von den üblichen, westlichen Schönheitsidealen abgewendet, indem sie die Entscheidung getroffen hat, das traditionelle Gewand, die Abaya, zu tragen. Dies empfinde sie als Befreiung. Claudia jedoch nennt es „Schutzmäntelchen“.
Claudia ist seit langer Zeit alleinerziehend, sie hat zwei Töchter. Sie war immer voll berufstätig, die Großeltern leben weit weg. Ein enges Familiengefüge konnte Claudia ihren Töchtern nicht bieten, sie musste sich aufteilen zwischen Familie und Job, Erziehung und wirtschaftlicher Versorgung.
Miriam verbrachte im Grundschulalter viel Zeit bei ihrer besten Freundin, deren Familie aus der Türkei stammt. Dort herrschte ein enger Zusammenhalt, Gemeinschaft in der Großfamilie.
Diese Zeit habe Miriam geprägt.
Sie habe als Jugendliche in einer destruktiven Beziehung gelebt und eine schwere persönliche Krise durchgemacht. Habe Bewältigungsstrategien gesucht, „ein Ventil, um diese Tragik verarbeiten zu können“. Claudia glaubt, dass Miriam sich an die schönen Erfahrungen in der muslimischen Familie erinnert habe. Dass sie sich selbst als labil empfunden habe und diese absoluten Regeln, die es im Islam gibt, wie ein Anker für sie waren.
Heute hat Miriam nur noch wenig Kontakt zu ihrer Freundin von damals, diese ist viel westlicher eingestellt als sie selbst und trägt beispielsweise kein Kopftuch.
Wir haben viele Fragen und Claudia beantwortet sie alle. Sie denkt nach, bevor sie spricht, man merkt jedoch auch, wie intensiv sie sich bereits gedanklich mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Wir erfahren, dass Claudia sich bewusst dazu entschieden hat, den Weg ihrer Tochter mit ihr gemeinsam zu gehen und sie darin zu unterstützen.
„Für mich stand einfach fest, dass ich hinter meinem Kind stehen werde, da kann kommen was will.“ Was sie beschäftigt, ist, dass Miriam früher immer sehr autonom, selbstbewusst, stark und freiheitsliebend gewesen sei. Diesen Kontrast zu dem heutigen Leben ihrer Tochter empfindet Claudia als grotesk.
Dennoch ist sie sich sicher, dass Miriam ihre Entscheidung aus freien Stücken getroffen hat. Manches Mal hat sie ihre Mutter an ihren Überlegungen teilhaben lassen, aber keine Zweifel an ihren Entscheidungen offenbart, kein Hadern oder Zaudern.
Claudia erzählt uns, dass sie mit ihrer Tochter schon immer ein enges Verhältnis gehabt habe und dass sie sich „nach wie vor sehr, sehr nahe“ seien.
Claudias Tochter hat ihre Entscheidungen jedoch immer für sich selbst getroffen und schon in ihren jungen Jahren eine unglaubliche Klarheit und auch Entschlossenheit an den Tag gelegt.
So verlief ihr Weg hin zum Islam auch recht geradlinig. Nachdem sie in ihrer Freizeit bereits ein Kopftuch trug, entschied Miriam sich dafür, auch verschleiert in die Schule zu gehen. Besprach das mit ihren Lehrern und der Schulleitung und bekam das OK. Da hatte Miriam bereits einen muslimischen Freundeskreis. Sie lernte einen muslimischen Mann kennen, die ersten Treffen der beiden fanden Zuhause bei Claudia statt.
Inzwischen ist Miriam nach muslimischen Recht verheiratet. Sie ist schwanger mit ihrem ersten Kind und hat ihrer Mutter vor kurzem erzählt, dass sie mit ihrem Mann Adnan* 2020 nach Saudi-Arabien ziehen und dort leben möchte.
Von dieser Entscheidung ihrer Tochter zu erfahren, war hart für Claudia. Auch wenn sie möchte, dass ihre Tochter ihr eigenes Leben lebt, so erscheint dieser Entschluss doch als großer Meilenstein. Eine gewisse Beruhigung ist für Claudia, dass ihr Schwiegersohn dort eine „ganz, ganz tolle“ Familie habe. Den Mann ihrer Tochter empfindet Claudia als sehr sanft und sie könne ihn alles Fragen, Bedenken und Zweifel äußern. Auch das beruhigt.
Claudia möchte Miriam in Saudi-Arabien besuchen, leidet aber darunter, dass ihre zweite Tochter sich aktuell nicht vorstellen kann, sie zu begleiten. Sie kann die Entscheidung ihrer Schwester nicht verstehen und momentan auch noch nicht akzeptieren. Claudias Hoffnung ist, dass sich das noch ändern wird.
Eine Hochzeitsfeier hier in Deutschland gab es nicht, Claudia wünscht sich, dass das noch nachgeholt wird und sie dabei sein kann.
Claudias Geschichte berührt uns und wirkt noch lange nach.
Diese Geschichte ist nicht schwarz oder weiß, sie hat viele Facetten.
Wir bewundern, wie reflektiert Claudia mit dieser Situation umgeht, wie sie Miriam bedingungslos unterstützt und Teile des Weges mit ihr geht.
*die verwendeten Namen wurden von uns gewählt