Gaby
Unsere erste Verabredung für SILVER führt uns nach Brüggen, einem gut 5000 Einwohner zählenden Dorf Kerpens. Brüggen wirkt wie ein Musterbeispiel einer Schlafstadt: aufgrund der Nähe zu Köln fehlt eine autarke Infrastruktur. Zum Arbeiten, Einkaufen oder auch zum Vergnügen pendelt man in die nahe Großstadt. Dafür beherbergt die Dorfidylle aber ein reges Vereinsleben.
Unser Ziel ist die Freiwillige Feuerwehr. Einquartiert in einem 90er Jahre Zweckbau, finden wir sie zentral im Dorf in Nähe der Kirche. Hier sind wir mit Gaby verabredet.
Warum Gaby uns ihre Geschichte erzählt? Sie möchte auf die Arbeit und die Bedeutung der Freiwilligen Feuerwehr aufmerksam machen. Sie ist stolz auf ihr Ehrenamt und hofft, noch mehr Menschen für dieses Engagement begeistern zu können.
Gaby ist Anfang 40, sie trägt ihr blondes Haar halblang und ist unaufgeregt gekleidet. Sie begrüßt uns herzlich und beginnt unmittelbar uns von der Feuerwehr zu erzählen. Schnell geraten wir dabei in eine Privatführung durch das Gerätehaus. Gaby kennt sich blendend aus; dabei erzählt sie interessant, informativ und kurzweilig. Trotzdem sind es viele Informationen und meine Erwartungshaltung kollidiert mit der Realität.
Ich malte mir vorab aus, mit Gaby über die Rolle als Frau in einer männlich geprägten Domäne zu reden. Statt dessen befinden wir uns nun in einer mit technischen Details gespickten Führung.
Wenig später finden wir uns auf den hinteren Sitzen eines großen Einsatzfahrzeuges wieder. Hier erzählt uns Gaby von den Grundtugenden der Feuerwehr: Schnelligkeit und Disziplin.
Sie berichtet, wie schnell sie im Ernstfall im Feuerwehrhaus ist, sich dort innerhalb weniger Sekunden umzieht, und die Mannschaft wenig später bereits am Einsatzort ist. Dabei erzählt sie vom Gehorsam während des Einsatzes: Man befolge blind die Kommandos des Gruppenführers und könne/müsse sich „hundertprozentig auf seine Kameraden verlassen“.
So nachvollziehbar und einleuchtend beides auch klingt, bleibt es doch abseits unserer eigenen Vorstellungskraft und Realität.
Mit zunehmender Dauer wird unser Gespräch dann doch noch persönlicher.
Gabys gesamte Familie ist bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Den Anfang machte ihr Sohn. Er trat mit zehn Jahren der Jugendfeuerwehr bei. Wo er in anderen Vereinen mit seinem Temperament und seiner Rastlosigkeit oft aneckte, konnte er hier so sein, wie er war. Er bekam dabei schnell das Gefühl vermittelt, ein wichtiger Bestandteil der Feuerwehr und der Gesellschaft zu sein. Das imponierte Gaby sehr.
Dem Ruf der Freiwilligen Feuerwehr folgte nach und nach dann die restliche Familie: zuerst ihr Mann, dann ihre Tochter und vor etwa dreieinhalb Jahren Gaby selbst.
Nach einem persönlichen Schicksalsschlag suchte Gaby nach einem neuen Tätigkeitsfeld.
„Kegel- oder Dartclub waren nicht mein Ding“, und das hiesige DRK agierte ihr zu praxisfern. Von ihrer Familie wusste sie, was die Freiwilligen Feuerwehr leistete und was sie dort erwartete. „Warum dann also auch nicht selbst dort anfangen?“ Nachdem weder ihre Familie noch ihre beste Freundin, vorab als einzige Frau in der hiesigen Feuerwehr die „Prinzessin“, Einwände gegen ihr Mitwirken hatten, trat auch Gaby dem Brüggener Löschtrupp bei.
Schnell meisterte sie alle einsatzrelevanten Lehrgänge und gewöhnte sich an den eher ruppigen, männlich gefärbten Ton.
Uns drängen sich nur so die Fragen auf: Hat sie Angst um Familienmitglieder bei Einsätzen? Und wie schaut es umgekehrt aus? Gaby antwortet sehr überlegt und rational. Sie beschreibt die gute Ausbildung und die sichere Schutzkleidung. Daher glaubt sie, weder ihr Mann noch ihre Familie habe Angst um sie, und auch sie sei nicht übermäßig besorgt um ihre Familienmitglieder. Im Vergleich zu ihren erklärenden Feuerwehrschilderungen, wirkt Gaby hier aber viel bedachter, zögernder. Vielleicht muss man den Gefahrenaspekt bei einer solcher Tätigkeit schlichtweg ausblenden?
Final gelangen wir doch noch zu „unserem“ Thema und fragen Gaby nach ihrer Rolle als Frau in der Freiwilligen Feuerwehr. Gaby überlegt eine Weile. Es scheint, als habe dieser Aspekt kaum Platz in ihrer Realität. Nach etwas Nachdenken erwähnt sie abermals den ruppigen Umgangston. „Man darf halt keine Barbie sein.“ Dafür entschädige aber die Kameradschaft. „Jeder ist für jeden wirklich da“, und aus diesem Dasein entstünden auch viele private Freundschaften. Auch sei Dank und Anerkennung der Bevölkerung ihre Motivation, und Antriebsfeder und der schönste Lohn.
Mit Gaby dürfen wir in eine für uns neue, teilweise auch fremde Welt der Freiwilligen Feuerwehr eintauchen. Wir wurden sensibilisiert, wie wichtig die Freiwillige Feuerwehr ist.
Es ist ein großer Unterschied, vor Ort zu sehen, mit welchem Herzblut und Engagement hier ein Ehrenamt betrieben wird, als nur davon zu lesen oder zu hören.
Und mit etwas Abstand fand ich dann auch selbst eine mögliche Antwort auf meine Frage nach Gabys Rolle als Frau in der Freiwilligen Feuerwehr: Gerade dadurch, dass sie ihrer Rolle als Frau in der Freiwilligen Feuerwehr kaum besondere Bedeutung beimisst, lebt Gaby Emanzipation.
Sie sieht sich als Frau, Ehefrau und Mutter, aber auch als „Feuerwehrmann“.